Kurzbeschreibung
Anlässlich des Erhalts des Lessingpreises skizzierte Peter Weiss (08.11.1916–10.05.1982) in seiner Dankesrede Laokoon oder Über die Grenzen der Sprache seine sprachliche Entwicklung: «Einmal», so hebt er an, «lernte ein Kind, die Umwelt wieder erkennbar zu machen, indem jede Einzelheit sich messen und nennen ließ. Es lernte, sich von einem bezeichneten Gegenstand zum andern zu bewegen, und so entstand eine sinnvolle Orientierung.» Sprache steht dem Chaos bloßer Sinneseindrücke entgegen, sie verleiht begrifflich Konsistenz. Doch Peter Weiss sollte die Sprache seiner Kindheit verlieren: 1935 begibt sich die Familie aufgrund der jüdischen Wurzeln des Vaters ins Exil; Weiss lebt zunächst in England, dann in der Schweiz, ab 1939 in Schweden. Er malt und versucht, sich schreibend zu assimilieren. Ein Versuch, der scheitert: «Was ich zustandebrachte», wird Peter Weiss notieren, «war nur Sekundäres, es waren Übersetzungen aus tieferen, originalen Schichten.» Mit dem Ende des zweiten Weltkriegs jedoch wird eine Rückkehr in die alte Sprache wieder denkbar. Und tatsächlich wird Weiss (literarisch) nach Deutschland zurückkehren: Der Schatten des Körpers des Kutschers, 1960 im Suhrkamp Verlag erscheinend, ist Weiss’ erstes in deutscher Sprache erscheinendes Buch: der Text einer Rückkehr und, wenn man so sagen darf, der Text eines sprachlichen Experiments, in dem Weiss die neue alte Sprache erprobt: ein herausforderndes Werk, dem allein diese Veranstaltung gewidmet sein soll. Das Seminar will also die Gelegenheit bieten, eben jenen Experimentaltext genauestens zu untersuchen, ihn zu interpretieren, statarisch zu lesen und seine zahlreichen Facetten im Spiegel ausgewählter Texte der Forschungsliteratur zu reflektieren. Insofern ließe sich auch von einem Lektüreseminar sprechen.
Lernziele/Kompetenzen
Die Veranstaltung zielt darauf ab, am konkreten literarischen Beispiel und im geschützten Raum des Seminars die eigene (fach-)wissenschaftliche Praxis zu erproben und zu verbessern. Neben der Fähigkeit zu statarischer, an jedem Wort eines literarischen Textes sich aufhängender Lektüre (‹close reading›) erwerben die Studierenden die Fähigkeit, ausgewählte Fachliteratur zu sichten, kritisch zu bewerten, zu kommentieren und schließlich ggf. qua kürzerer Essays fürs eigene Schreiben produktiv zu machen.
Teilnahmemodalitäten/Voraussetzungen
Die erfolgreiche Teilnahme an der Veranstaltung umfasst neben der zwingend erforderlichen Anwesenheit die Bereitschaft zur Lektüre der Seminartexte wie das Verfassen eines Essays oder alternativ das Halten eines Referats.
Literatur
Literatur wird, mit Ausnahme von Ganzschriften und des Primärtextes im Rahmen des Seminars bereitgestellt. (Dass dies nicht vollständig von eigener Recherche entbindet, versteht sich im Rahmen eines wissenschaftlichen Studiums freilich von selbst.) Eine Lektüre des Primärtextes noch vor der ersten regulären Sitzung sollte obligatorisch sein.
Studienleistung/Modulprüfung
Eine Studienleistung kann alternativ durch ein Referat oder durch einen etwa vier- bis sechsseitigen Essay zu einem selbstgewählten Aspekt, einer Fragestellung zu Weiss’ Der Schatten des Körpers des Kutschers erbracht werden. Die Essays selbst sollen im Verlauf des Seminars von den Teilnehmenden gemeinsam kritisch diskutiert werden. Eine Modulprüfung in Form einer schriftlichen Hausarbeit ist ebenfalls möglich.
Empfehlung Angewandte Studiengänge
Die Veranstaltung steht allen (angehenden) Angewandten Literatur- und KulturwissenschaftlerInnen offen.
Weitere Angaben/Hinweise
Grundlagentext: Peter Weiss, Der Schatten des Körpers des Kutschers (1960), Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1960 (= Tausenddruck 3). (Nach Möglichkeit sollte dieser in den Beständen der UB zu findenden Ausgabe der Vorzug gegeben werden.)
- Lehrende:r: Benjamin Thimm